Musiktheater

Elektra

Oper von Richard Strauss
PREMIERE
18. Dezember 2022
Tragödie in einem Aufzug von Hugo von Hofmannsthal
Spieldauer: ca. 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause



Trailer

So schroff und mutig wie in seiner Elektra schrieb Richard Strauss nach 1909 nie mehr. Mit Hugo von Hofmannsthal schuf er – aus den Salons der Jahrhundertwende kommend – ein Werk von seltener Geschlossenheit und überwältigender musikalischer Wirkung. Elektras Besessenheit, Rache für den Tod ihres Vaters zu nehmen, lässt sie mit der Mutter Klytämnestra und Schwester Chrysothemis brechen und in nun über 100 Jahren Auf­führungsgeschichte als verstörend konsequenter Racheengel in einem hermetischen System von Abhängig­keiten und Schuld überdauern. Die Münstersche Inszenierung von Paul-Georg Dittrich in der Ausstattung von Christoph Ernst eröffnet eine Vielzahl von Perspektiven auf diese Oper und ihre beeindruckende wie schmerzvolle Wirkungsgeschichte.

  • Johan Hyunbong Choi, Rachel Nicholls, Hasti Molavian, Helena Köhne / ©_Martina Pipprich
  • Margarita Vilsone, Helena Köhne, Rachel Nicholls / ©_Martina Pipprich
  • Margarita Vilsone, Rachel Nicholls, Hasti Molavian, Maria-Christina Tsiakourma, Katharina Sahmland, Helena Köhne / ©_Martina Pipprich
  • Margarita Vilsone, Rachel Nicholls, Helena Köhne, Ensemble / ©_Martina Pipprich
  • Rachel Nicholls, Margarita Vilsone, Hasti Molavian / ©_Martina Pipprich
  • Rachel Nicholls / ©_Martina Pipprich
  • Rachel Nicholls, Hasti Molavian, Helena Köhne, Margarita Vilsone, Robin Allegra Parton, Garrie Davislim, Johan Hyunbong Choi / ©_Martina Pipprich
  • Robyn Allegra Parton, Helena Köhne, Katharina Sahmland, Rachel Nicholls / ©_Martina Pipprich
  • Wioletta Hebrowska, Maria-Christina Tsiakourma, Rachel Nicholls, Hasti Molavian, Katharina Sahmland / ©_Martina Pipprich

Pressestimmen

  • Deutsche Abgründe – In Paul-Georg Dittrichs bilderflutender Inszenierung der Strauss‘schen «Elektra» steht die Titelheldin auf der falschen Seite der Geschichte

    Dieses Spiel mit historischen Maskierungen und frei schwingenden Assoziationen treibt diese Inszenierung auf die Spitze. So dürfen die drei bei Strauss vorkommenden Nachkommen Agamemnons – Elektra, Chrysothemis und Orest – diesmal zwar alle drei überleben. Aber ein Happyend des Stückes und schon gar nicht eines der Geschichte wird damit nicht konstruiert. Und zwar weder der kleinen des Stückes, noch der ganz großen deutschen Geschichte, um die es diesmal vor allem geht. So wie die Drei am Ende an der Rampe stehen, verkörpern sie eine beängstigend rechte Zweidrittelmehrheit: links eine apolitische, nur mit sich und ihren Selfies beschäftigte Chrysothemis, in der Mitte eine Elektra, die sich im Look einer Beate Zschäpe (die verurteilte Überlebende der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“) präsentiert und ein Orest, der mit einer nationalistischen Flagge wedelt und zum Nazischläger mutiert ist. […] Die Überwältigungswucht und Nachwirkung dieser «Elektra» resultiert aus der assoziativen Opulenz, mit der Paul-Georg Dittrich (Regie), Christoph Ernst (Ausstattung) und Lukas Rehm (Video) die zersetzend destruktive Kraft der Rache, inklusive deren Sublimierung als Kunst, in einen Diskursraum unter dem Logo „Deutsche Geschichte“ projizieren. […] Zusätzlich liefern auf einer temporär herunterfahrenden Leinwand Videos eine zusätzlich erhellende Gedankenspur. So viel schnell aufeinanderfolgende Nazi-Kunst sieht man nicht oft. Dittrich wagt hier einen szenischen Zugriff, der bei Hans Neuenfels oder Johan Kresnik zu ihrer Zeit für einen Tumult im Saal gesorgt hätte. […] Die musikalische und vokale Seite des Abends hat es bei einer solchen Übermacht der Bilder natürlich schwer. GMD Golo Berg und sein Sinfonieorchester widerstehen dem noch besten. Er vermag es bei aller Strauss-Überwältigung und dem untergründigen Rumoren der Moderne in der Musik, auch Feinheit und lyrische Stellen nicht untergehen zu lassen und mit den Protagonisten im Blick zu dirigieren. […] Dass unter den Akteuren der übrigen, allemal außerordentlich auch schauspielerisch geforderten kleineren Rollen allein fünf Mitglieder des Opernstudios dabei sind, spricht für die Qualität eines Hauses. Mit dieser «Elektra» ist ein beeindruckender Beitrag zu dem übergeordneten Orestie-Schwerpunkt der laufenden Spielzeit gelungen. Er widerlegt nicht zuletzt das Gerücht vom angeblichen Tod des Regietheaters – kontroverse Debatten im Nachhinein und offene Fragen inklusive! 

     

    Roberto Becker, opern.news, 21.12.2022

  • Strauss-Oper „Elektra“ am Theater Münster - Pracht der Musik durch macht der Bilder eingehegt

    Einen musikalisch höchst opulenten Abend hat das Theater Münster am Sonntagabend seinen Zuhörern beschert […]. Bei der Schilderung ihrer Gemütszustände bis zur blutigen Vergeltung erscheint Elektra während ihrer Kostümwechsel auch in SS-Uniform. Wer darin nur einen provokanten Regie-Einfall sehen will, verkennt die aus dem verästelten Mythos erwachsende Plausibilität dieser Darstellung. Die Kunstfigur Elektra liebt einen toten Vater, der als gnadenloser Feldherr das Fürchten lehrte. Also hat sie dessen mörderisches Vermächtnis verinnerlicht: ein Bekenntnis zur abscheulichsten Grausamkeit, die im schwarzen Terror-Gewand passenden Ausdruck findet.

    Gesanglich bestehen die beiden Sopranistinnen Margarita Vilsone und Rachel Nicholls die vielfältigen Herausforderungen ihrer Partien überaus gewinnend, zumal sie den unter der Leitung von Golo Berg prächtig aufsteigenden Klang-Sturm aus dem Orchestergraben klar vernehmlich durchdringen können. Auch Bariton Johan Hyungbong Choi als Orest artikuliert jeden Konsonanten trefflich, getragen vom glänzenden Sinfonieorchester Münster.

     

    Alexander Reuter, Die Glocke, 21.12.2022

  • Opern-Kritik: Theater Münster – Elektra – Geschichte abfackeln

    Richard Strauss‘ Opernschocker „Elektra“ bietet in der Inszenierung von Regisseur Paul-Georg Dittrich eine Bilderflut und viel Stoff zum Nachdenken. […] Szenisch macht er aus dem Einakter eine Art metaphorischen Flammenwerfer, mit dem er die jüngere deutsche Geschichte regelrecht abfackelt. […] Es gehört zu den übermütigsten Einfällen dieser an Einfällen überreichen Inszenierung, dass dann sogar das gut erkennbare Münsteraner Tatort-Trio Thiel, Börne samt Assistentin Alberich mitspielt. Einmal buddeln sie Knochen aus und zum finalen Rache-Mord an der Exkanzlerinnen-Klytämnestra und dem Exkanzler-Ägisth die Waffen reichen! […] Der Tatort Familie wird so zum ganz großen Alptraum, aus dem es kein Entrinnen gibt. Zu all dem – so meint das Bühnenbild – gibt ein überlebensgroßer Richard Strauss vor vollbesetzten Rängen eines Opernhauses den Takt vor. Dittrich reanimiert hier eine Art von dekonstruierend assoziativem, aussagefreudig kontextualisierendem Regietheater, wie es mittlerweile gar nicht mehr so häufig anzutreffen ist. […] Die musikalische Seite des Abends hat vor allem im Graben ihre überzeugendsten Momente. GMD Golo Berg entfesselt einen mitreißenden Strom der Musik und behauptet sich damit noch am ehesten gegen die Bilderflut. Bei den Protagonisten ist das differenzierter. Am besten gelingt es Helena Köhne, ihre Klytämnestra wortverständlich mit beredtem Gesang zu gestalten. Rachel Nicholls stemmt ihre Elektra gelegentlich mit deutlichem Vibrato, bewältigt aber ihre enormen darstellerischen Herausforderungen mit Bravour. Das gilt analog auch für Margarita Vilsones Chrysothemis, die der Gefahr, in manieriert wirkende Hysterie abzudriften, nicht immer entgeht. […] In Münster wurde einem Opernabend überwiegend applaudiert, der für das Publikum nach dem letzten Ton noch lange nicht vorbei ist und Stoff für reichlich Diskussion bietet.

     

    Joachim Lange, concerti.de, 20.12.2022

  • IM PUPPENHEIM DEUTSCHLAND

    Die plakative Gleichsetzung von antiker Rachetragödie und deutscher Mordgeschichte mit Orests finaler Machtergreifung geht zwar nicht auf und hinkt auch politisch, ist aber in ihrer kopfstimmigen Radikalität, ja überbordenden Verrücktheit durchaus eindrucksvoll. Gleichzeitig ist es gerade die theatralisch perfekt getimte Informationsflut, dieser optische Overkill, der dieser Inszenierung das Rückgrat bricht: Sie begräbt Stück wie Musik unter sich. Der Dauerbeschuss mit Anspielungen, Bildern, Texten, Zeichen, die man ohnehin nicht alle gleichzeitig wahrnehmen, zuordnen und verarbeiten kann – von der Musik zu schweigen –, überfordert selbst den gutwilligsten Zuschauer. Das wache Auge überflutet das trägere Ohr.

     

    Uwe Schweikert, Opernwelt, Februar 2023

  • Ein Kanzlermord – Richard Strauss‘ Oper „Elektra“ als Fluch deutscher Erbschuld auf der Bühne des Theaters Münster

    Im Gegensatz zu den visuellen Exzessen der Regie macht die Musik die Stärke der Münsteraner Inszenierung aus. […] Dazu legt das Sinfonieorchester mit Golo Berg als Generalmusikdirektor einen ungreifbaren Schleier auf die historische Allzudeutlichkeit auf der Bühne. […] Zwischen Abschreckung und Begeisterung bleibt am Ende die Erinnerung an eine berauschende Oper und eine Inszenierung, die das Tragische auf das Konkret-Politische verkleinern will. Mit dem Vergangenen als dem Unabänderlichen muss man umzugehen lernen. Wie dieser Umgang aussehen soll, bleibt in Münster unbeantwortet. Muss, wer leben will, vergessen?

     

    Luise Weidlich, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Januar 2023

  • „Elektra“ von Richard Strauss in Münster: Zum Schwelgen und zum Streiten – Ein deutscher Blutrausch

    Immerhin darf Elektra als Kind hüpfen und als Mord-Drahtzieherin tanzen – was Sopranistin Rachel Nicholls in der Premiere ebenso überzeugend tat wie nach verhaltenem Beginn ihre vokale Gestaltung der heftigen Partie. Sie hat nicht das stählerne hochdrama­tische Organ legendärer Vorgängerinnen, sondern eine hell und lyrisch gefärbte Stimme, die sich durch die Orchesterwogen brennt, im Fortissimo ein wenig flackert. Kurios, dass ihre „Schwester“ in dieser Produktion auch eine schwesterliche Stimme aufweist: Margarita Vilsone klingt ideal in der ebenfalls fordernden Partie der Chrysothemis. Auch die Klytämnestra ist mit Helena Köhne vorzüglich besetzt […]. Wer nur im Richard-Strauss-Sound schwelgen möchte, muss hier mit geschlossenen Augen zuhören. Die anderen können über einen deutschen Blutrausch staunen – und sicherlich streiten.

     

    Harald Suerland, Westfälische Nachrichten, 20.12.2022

  • Die Gespenster des 20. Jahrhunderts - Paul-Georg Dittrich inszeniert in Münster die „Elektra“ von Richard Strauss als assoziative Zeitreise

    Er spiegelt in der „Elektra“ Gegenwart und Zeitgeschichte, öffnet eine Menge Gedankenwege, die keinesfalls alle zu einem Ziel führen. Doch im Lauf des Abends verdichten sich die Motive. Elektra ist keinesfalls nur ein Opfer, ihre Rache nicht nur Befreiung. […] Jetzt wird auch klar, warum Klytaimnestra wie Angela Merkel aussieht, auf sie zielt der Hass der Rechtsradikalen. Der Königinnenmord führt keinesfalls in eine bessere Zukunft. […] meist singt das Ensemble in Münster auf sehr hohem Niveau. Vor allem Rachel Nicholls begeistert als Elektra mit großer Durchschlagskraft und subtilen Zwischentönen. Auch schauspielerisch ist sie eine Wucht. […] Margarita Vilsone als Chrysothemis und Helena Köhne als Klytaimnestra liefern ebenfalls musikalisch wie darstellerisch ausgezeichnete Rollenporträts. Während Golo Berg das Sinfonieorchester Münster fein abgewogen durch die enorm farbenreiche Partitur führt, die Momente trügerischer Seligkeit ebenso präzise herausarbeitet wie die dramatischen Ausbrüche. […] das Theater Münster [zeigt] eine musikalisch überzeugende und szenisch hochinteressante „Elektra“.

     

    Stefan Keim, Deutschlandfunk, Kultur heute, 20.12.2022

  • Elektra in the Land of Cockroaches

    I always admire artists who in such harmful working conditions simply do their job and do it well. I came to Münster primarily because of Rachel Nicholls, whose career I have been following closely since her decision to gradually move towards dramatic soprano roles. […] Her voice is relatively bright and sounds really youthful, does not need to be forced in the excellent acoustics of the Theater Münster, and given the singer’s extraordinary intelligence, tremendous musicality and acting skills it becomes a perfekt vehicle for the madness tormenting Elektra. […] Her Elektra is both fragile and terrifying, and, most importantly, develops as a character, from the powerful monologue “Allein! Weh, ganz allein” to the eerie “Ob ich die Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir” in the finale of the opera. She found a worthy partner in the Chrysothemis of Margarita Vilsone, a singer with a resonant, rich and very warm soprano. Helena Köhne was an outstanding Clytemnestra, with a contralto appropriate for the role, beautifully developed and superbly controlled. […]  Singing in an otherwise handsome baritone, Johan Hyunbong Choi (Orestes) failed to build a convincing character, which Aaron Cawley, surprisingly, managed to accomplish in the brief part of Aegisthus. [...] Worthy of note among the rest of the cast were Maria Christina Tsiakourma, Hasti Molavian, Wioletta Hebrowska, Katharina Sahmland and Robyn Allegra Parton, who made up a perfectly integrated, though sonically diverse, ensemble of five Maids. The whole was masterfully controlled by Golo Berg, who skilfully emphasised both the novelty of the work (Elektra’s demonic death “waltz”!) and the often surprising lyricism of the score.

    I left the theatre delighted with the quality of the performance […].

     

    Dorota Kozińska, Magazin Teatr (Warschau), 31. Januar 2023, Übersetzung Anna Kijak

  • Ein Mutti-Mord unter Kakerlaken – Paul-Georg Dittrich inszeniert in Münster „Elektra“ als Mythenbilderbogen

    Elektra (furios: Rachel Nicholls) spielt im Mädchenkleid Hinkelkästchen vor einer überlebensgroßen Fototapete vom „Haus der Kunst“ in München, einst unter den Nazis als Protzbau errichtet […]. Die besichtigte Krankheit nennt sich: deutsche Geschichte. Heilungschancen: wohl null. […] Musikalisch lohnt sich die Münsteraner „Elektra“, einerseits wegen der starken Frauen: der facettenreichen Rachel Nicholls und Margarita Vilsones gleifalls eindrücklicher Chrysothemis, und vor allem auch Helena Köhnes Klytämnestra. Sie gibt eine Matriarchin, die sich ihre Lebenswelt gezimmert hat und davon nicht mehr abrücken kann. Die Münsteraner Sinfoniker unter Golo Berg interpretieren die Extreme der Partitur mit Gelassenheit, Reaktionsschnelle und Umsicht, dabei zupackend und mitreißend – mehr Seelendrama dort, als sich auf der Bühne spüren lässt.

     

    Edda Breski, Westfälischer Anzeiger, 20.12.2022