Sinfonieorchester Münster
Sehr geehrte Damen und Herren,
Liebes Konzertpublikum,
hiermit stellen wir Ihnen das Programm der 106. Konzertsaison des Sinfonieorchester Münster vor, eines Klangkörpers, dessen Geschichte bis an den Beginn des 19. Jahrhunderts zurückreicht. Das erstarkende bürgerliche Selbstbewusstsein brachte damals in Münster ein aufblühendes städtisches Musikleben hervor, das schließlich zur Gründung des Musikvereins führte; aus ihm sollte später das Sinfonieorchester hervorgehen. Es war von Anbeginn also eine bürgerliche Institution. Als solche war es immer auch politisch angreifbar. Der Begriff des »Bürgerlichen« war und ist ein umstrittener. Als sich im 19. Jahrhundert im Milieu des jungen Bürgertums Ideen entwickelten, die durch die Aufklärung beeinflusst waren und eine neue Gesellschaft, Kultur und Politik prägten, stießen sie auf Widerstand. Diese Ideen formulierten das Ziel einer modernen, säkularisierten Gesellschaft freier Bürger, die ihre Verhältnisse friedlich, vernünftig und selbständig regelten, ohne obrigkeitsstaatliche Gängelung, individuell und gemeinsam zugleich. Dabei war es die Mündigkeit der Bürger, die diese erst befähigen sollte, eine solche Gesellschaft zu etablieren – eine Mündigkeit, die durch den öffentlichen Gebrauch der Vernunft (statt nicht hinterfragter Traditionen), vor allem aber durch Bildung (statt durch Geburtsrechte) erworben werden musste. Ein Bildungskanon entstand, der u. a. der musischen Erziehung hohen Wert beimaß, indem man ihre Bedeutung für das Reifen der Persönlichkeit erkannte. Städtische, also bürgerliche Sinfonieorchester waren identitätsstiftende Institutionen, die gemeinsam mit den Schulen und dem Theater jene mündigen Bürger hervorbringen sollten, deren Reife die angestrebte moderne Gesellschaft erst ermöglicht. Die Kritik am »Bürgerlichen« kam im Laufe der Geschichte aus unterschiedlichen Richtungen – aus der Perspektive aristokratischer Arroganz etwa, oder von Seiten jener rechten Nationalisten, die den bürgerlichen Rechtsstaat verachten und bürgerlichen Individualismus fürchten. In Frage gestellt wurden und werden bürgerliche Institutionen wie Sinfonieorchester, aber auch aus Richtung der sozialistischen Arbeiterbewegung und ihrer Nachfolger, denn sie warfen und werfen ihnen vor, Instrumente bürgerlichen Standesdünkels zu sein. Vielleicht ja zu Recht? Wir müssen uns heute fragen, was es für ein Sinfonieorchester wie unseres bedeutet, ein »moderner« Klangkörper zu sein, der jenseits politischer Denkmuster seine gesellschaftliche Relevanz beweist. Ich bin überzeugt: indem unser Programm ein breites Publikum erreicht und anspricht, das sich unabhängig von sozialen Zuordnungen für unsere Konzerte begeistert, indem wir Menschen jeden Alters mit unserer Musik erfreuen und sie ermutigen, sich von uns beflügeln zu lassen, sind wir ohne Zweifel modern und relevant. Was das Sinfonieorchester Münster vermittelt, das ist Herzensbildung. Ein schöner, alter, bürgerlicher Gedanke.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Golo Berg
Generalmusikdirektor