Wie konnte das Unglaubliche, die systematischen Ermordungen durch den Nationalsozialismus, wie konnte das geschehen? Wir wollen die Zusammenhänge begreifen und müssen dafür in den Abgrund blicken – wir wollen nicht hineinstürzen. Der Dramatiker Peter Weiss verbindet dafür die Form des dokumentarischen Theaterstücks mit der Form des Oratoriums.
Dokumentarisch, weil er die Protokolle des ersten Auschwitz Prozess in Frankfurt (1963 bis 1965) direkt im Anschluss künstlerisch umsetzte. Er selbst nahm als Zuschauer an den Prozessen teil.
Das Oratorium wiederum bildet traditionell eine konzertante Darbietung religiöser Inhalte – zeigt beispielsweise das Leiden Christi zum Osterfest. Mit den 11 Gesängen seines Oratoriums Die Ermittlung nimmt Peter Weiss Bezug auf die Stationen der Juden auf dem qualvollen Weg vom Transport über die Rampe bis zum Feuerofen.
NIE WIEDER … UND DARUM: IMMER WIEDER
Die Ermittlung wurde direkt im Oktober 1965 im Rahmen einer Ring-Uraufführung an fünfzehn Theatern im Westen wie Osten Deutschlands sowie von der Royal Shakespeare Company, London, gezeigt. Es folgten weitere Aufführungen wie zum Beispiel 2009 auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Sowohl für Spielorte wie Interpretationen lässt das Stück viel Raum. In unserer Version rotieren die Akteur*innen in jedem der 11 Gesänge, so dass jede*r mal Zeuge*in, Angeklagte*r oder Richter*in ist.
ES DARF UNS NICHT LOSLASSEN
Im Winter 2021 wird das Leid der Juden im Dritten Reich verhöhnt. Demonstrierende wenden sich gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Sie heften sich den gelben Judenstern an und wollen sich als Ausgestoßene darstellen. Geschichte wird verdreht und für die eigene Argumentation verformt. Darum brauchen wir die Vorstellung bekannter Fakten wie die Protokolle der Auschwitz Prozesse. Darum öffnet das Oratorium unser Herz immer wieder für Mitgefühl. Die Auseinandersetzung mit Hass, Rassismus, Schuld und Scham kennt kein Ende.
Weitere Informationen: stadtensemble.de