Real Victory
Die Vorstellung am Sonntag, dem 05.05.2024 um 19:00 Uhr im Kleinen Haus muss leider wegen Krankheit im Ensemble ausfallen!
Stattdessen wird eine Ersatzvorstellung am Sonntag, 02.06.2024 um 19:00 Uhr angeboten.
Am 05. Juli 2024 um 19:30 Uhr bieten wir eine Vorstellung im Rahmen von Theater entspannt an.
Inhalt
Real Victory
Ein Tanz·abend in 2 Teilen
zwischen Hip-Hop und Ballett
An diesem Tanz·abend zeigt das Theater Münster:
Tanz ist nicht nur schön und elegant.
Tanz bedeutet auch Macht.
Tanz kann Krieg sein.
Man kann beim Tanz gewinnen und verlieren.
Besonders die Tanz·stile Hip-Hop und Ballett zeigen das.
Beide Tanz·stile haben einen eigenen Rhythmus.
Die Tänzer und Tänzerinnen beherrschen ihren Körper sehr gut.
Es gibt im Hip-Hop und beim Ballett sehr viele Kon·kurrenten.
Jeder will der Beste sein.
Jede will die Beste sein.
Der Tanz·abend hat den Titel Real Victory.
Das ist Englisch und man spricht den Titel so aus: Riel Vik – to – ri.
Das heißt auf Deutsch: Der wahre Sieg.
Die Choreografin Sandrine Lescourant ist Französin.
Man spricht ihren Namen so aus: Son – drien Läs – ku – ro.
Die Choreografin kennt sich sehr gut mit Hip-Hop aus.
Der Choreograf Dustin Klein ist Deutscher.
Er kennt sich sehr gut mit Ballett aus.
Sandrine Lescourant und Dustin Klein sagen:
Gewinnen ist nicht gleich Siegen.
Auch nicht beim Tanz.
Die beiden fragen mit ihren Tanz·stücken:
Was wollen wir wirklich gewinnen?
Wonach sehnen wir uns am meisten?
Für was kämpfen wir so sehr?
Zwischen den beiden Tanz·stücken
zeigt das Theater die Choreografie Dunajna.
Das ist Ungarisch.
Man spricht den Titel so aus: Du – nai – na.
Dunajna heißt auf Deutsch: die Donau.
Roland Géczy kommt aus Ungarn.
Sein Name wird so ausgesprochen: Ro – lan Ge – dsi.
Er hat für seine Choeografie bei einem Tanz·festival in Bern
den Produktions·preis gewonnen.
Das ist ein Nachwuchs·preis vom Theater Münster.
Übersetzung in Leichte Sprache: Büro für Leichte Sprache – Niederrhein
Prüferinnen: Carolin Höfels, Michaela Kleutges, Claudia Möller, Claudia Schürmann, Sabine Vogt, Anja Wiegand
Ton
- Lautstärke der Musik
Beleuchtung
- Schnelle Lichtblitze
- plötzliche Lichtwechsel
Videos & Bilder
- Großflächige Videoprojektionen
Trailer
Inszenierungsfotos
Interview mit Dustin Klein
Du und Sandrine kommen aus unterschiedlichen Tanzsparten und seid geprägt von verschiedenartigem Bewegungsvokabular. Für die Tanzproduktion „Real Victory“ brachte Lilian Stillwell euch zusammen. Kannst du etwas über diese erste Begegnung berichten.
Bei unserem ersten Treffen ging es um den Titel – „Real Victory“ und die Frage, was das für uns bedeutet. Was ist ein „echter“ Gewinn? Sandrine, die im Hip-Hop zuhause und gut vertraut mit dem Prinzip des Wettkampfs ist, meinte, dass es ihr in den Dance-Battles nicht primär darum gehe, zu gewinnen, sondern vielmehr darum, Teil des Ganzen zu sein. Das ist ein sehr privater Grund der Teilnahme, nämlich der, persönlich zu wachsen. Natürlich ist der Gewinn das „Krönchen obendrauf“. Wettbewerbe im Hip-Hop-, als auch im Ballett-Bereich zeichnen vor allem die Präzision der Bewegungsausführung und die Beherrschung der Technik aus. Das geschieht extern, auf einer öffentlichen Ebene und durch andere. Bei näherer Betrachtung ist die Teilnahme aber weitaus vielschichtiger, wenn es um die Frage geht, was man persönlich gewinnen kann. Eine Erkundigung, die auf einer internen Gedanken- und Gefühlsebene ausgetragen wird. Dann verliert man auch mal einen Wettbewerb, geht aber dennoch nicht mit leeren Händen nachhause, weil man für sich selbst neue Impulse mitnimmt. Das Glücksgefühl resümiert hier aus der autonomen Bewertung und individuellen Empfindung und ist entkoppelt von der äußeren Zuteilung eines Gewinns in Form einer Auszeichnung. So hat sich im Verlauf dieses ersten Gesprächs immer deutlicher die Frage herausgebildet, was „gewinnen“ überhaupt bedeutet. Und unsere gemeinsame Auffassung, dass der Aspekt des persönlichen Gewinns im Zentrum unserer Beschäftigung mit dem Thema stehen soll.
Das englische Verb „to win“ lässt sich in der deutschen Sprache ja einerseits mit „siegen“ als auch mit „gewinnen“ übersetzten. Wo liegen für dich die Unterschiede zwischen den Vorgängen des Siegens und des Gewinnens?
Gewinnen ist für mich etwas sehr persönliches, wohingegen Siegen für mich etwas ist, was mit dem Wettbewerb zu tun hat - damit, sich in der Masse, in der Gesellschaft zu behaupten. Ich gewinne für mich. Und ich besiege andere. Die Frage, ob ich gewinne, hängt von meiner persönlichen Betrachtung ab, die Frage, ob ich siege, steht vielmehr im Zusammenhang mit der äußeren Beurteilung durch andere.
In deiner Arbeit greifst du den Ikarus-Mythos auf. Wieso ist deine Wahl beim Thema „Gewinnen und Siegen“ auf einen augenscheinlichen „Verlierer“ gefallen?
Ikarus schafft es mit der Hilfe des Vaters, seiner Gefangenschaft zu entfliehen. In meinen Augen hat er durch diesen Sachverhalt schon gewonnen. Er hat sich befreit. Dann kommt der Moment, an dem Ikarus merkt, dass er noch weiter nach vorne streben will. Er ist zwar frei, merkt aber gleichzeitig, dass er noch nicht da ist, wo er hinmöchte. Hier zeigt sich wieder der Unterschied zwischen äußerer Beurteilung und persönlicher Betrachtung. Von außen beobachtet würde man sagen, dass Ikarus gewonnen hat und zufrieden sein kann. Er persönlich bewertet die Situation aber vor dem Hintergrund seiner ganz eigenen Gefühlswelt.
Ich glaube, dass wir alle solche Situationen kennen. Momente, in denen man eigentlich zufrieden sein könnte. Gleichzeitig ist da dieses Gefühl, dass es noch soviel mehr gibt, das man ausprobieren kann. Und man begibt sich erneut auf die Suche nach den eigenen Wünschen und Grenzen. Diesem Moment, in dem man innerlich den Drang verspürt, höher hinaus zu wollen, will ich gemeinsam mit den Tänzer*innen nachspüren.
In dem Ikarus-Mythos steckt ja schlussendlich auch die Moral, nicht zu hoch hinauszuwollen, um am Ende nicht tief zu fallen. Willst du mit deiner Interpretation auch eine Moral weitergeben oder verzichtest du darauf?
Ich glaube schon, dass wir versuchen, die Moral in unserem Stück mit aufzugreifen. Wir versuchen uns zwar gegenseitig herauszufordern, aber gleichzeitig finde ich es wichtig, an einen Punkt zu kommen, an dem man erkennt, dass man etwas Geleistetes nicht im nächsten Moment schon wieder übertreffen muss. Und vielleicht innehält, um das Konzept „Höher, schneller, weiter“ kritisch zu reflektieren.
Also liegt die Moral eher in dem Gedanken des achtsamen Umgangs mit sich selbst, um herauszufinden, an welchen Punkten man sich pusht, wann es aber auch Zeit ist, sich zurückzunehmen und der eigenen Zufriedenheit nachzuspüren?
Genau. Ich glaube, wenn man das schaff, hat man gewonnen. Wenn man als Mensch den Punkt erreicht, vernünftig im Umgang mit sich selbst und mit anderen zu sein. Manchmal vergisst man das und macht dann diesen großen Schritt über das eigene Ziel hinaus. Und bläst damit eine Blase immer weiter auf. Deshalb ist es mir wichtig, die Tragödie im Ikarus-Mythos herauszustellen. Vielleicht als Hinweis auf die Kostbarkeit des eigenen Daseins.
Den Ikarus-Mythos greift ihr auf der Bühne nicht nur inhaltlich, sondern auch technisch auf, indem ihr bewusst eure persönlichen körperlichen Grenzen auslotet. Welche besondere Qualität liegt deiner Meinung nach in diesem Ansatz?
So wie ich die Gruppe jetzt kennengelernt habe, würde ich sagen, dass wir gerade Dinge ausprobieren, die die Tänzer*innen nicht täglich machen. Ich hoffe, dass sie aus diesem Ansatz, so extrem zu arbeiten, für sich persönlich etwas als Gewinn mitnehmen und wünsche mir, dass wir den Höhenflug des Ikarus ganz konkret in unsere Körper einfließen lassen. Dass der Tanz selbst zum Höhenflug wird und dass die Dynamik, die dabei entsteht, sinnlich erfahrbar macht, dass Ikarus zu weit nach oben steigt. Aus der anfänglichen Verspieltheit entsteht Schritt für Schritt eine Situation, die immer gefährlicher wird, weil sie in den Rausch und die Ekstase führt.
Rausch und Ekstase sind Begriffe, die man nicht unbedingt mit klassischem Ballett assoziiert.
Das stimmt. Ballett ist eigentlich von vorne bis hinten durchstrukturiert. Aber die Grenzüberschreitung hat mich immer schon fasziniert. Als Kind habe ich Unberechenbarkeit geliebt. Wenn ich mit meinen Eltern unterwegs war, mussten sie mich immer im Auge behalten, weil ich mich immer irgendwohin aufgemacht habe. Ich weiß nicht, wie oft ich mit gebrochenen Armen im Krankenhaus lag. Auch in meiner Arbeit als Tänzer oder als Choreograf habe ich Spaß daran, in den Dingen, die ich tue, ein gewisses Risiko für mich zu entdecken. Mich macht es nicht glücklich, immer nur das Sichere zu machen. Ich mache ungern das Gleiche für einen längeren Zeitraum, sondern wandere gerne zwischen den Welten. Die Grundlagen des klassischen Balletts habe ich im Reisegepäck, mache mich damit auf und erforsche unglaublich gerne andere Genres wie zum Beispiel Contemporary Dance.
Dann muss dich das Angebot von Lilian Stillwell gereizt haben, gemeinsam mit Sandrine Lescourant diesen Abend zu entwickeln.
Absolut. Genau wie Sandrine habe ich meinen persönlichen Background. Aber jetzt wird damit gemeinsam in Münster das Projekt „Real Victory“ angegangen. Und die Betonung liegt dabei auf dem Wort „gemeinsam“. Uns war es von Anfang an wichtig, dass es trotz des Titels kein Wettbewerb zwischen zwei Choreografen wird. Vielmehr beschäftigen wir uns mit den Konzepten des Gewinnens und Verlierens, des Aufsteigens und des Fallens. Und mit der Frage, was man aus der Beschäftigung mit diesen Themen ableiten und lernen kann. Wir arbeiten uns in den einzelnen Choreografien an diesen Themen ab, dennoch möchten wir am Ende des Abends als Team dastehen, das den gleichen Raum für die Interpretationen nutzt.
Ihr seid gerade noch mitten in den Proben. Was werden die Zuschauenden in den Aufführungen miterleben können?
Ich denke, es ist wichtig zu erwähnen, dass wir keine klassische Ikarus-Geschichte aus dem Sagen- und Mythenbuch auf die Bühne bringen werden. Vielmehr arbeiten wir uns an den verschiedenen Stadien von Emotionen ab, die Ikarus durchläuft. Momente des Hochmuts und Momente des Freiheitsdrangs. Momente des Aufstiegs und der Übertreibung und schließlich auch Momente des Kontrollverlustes und des Absturzes. Und von diesen Stadien erzählen wir aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Tänzer*innen werden dabei zu Erzähler*innen der Geschichte.
Ihr löst euch also ganz bewusst von den konkreten Figuren des Mythos, zugunsten einer multidimensionalen Erzählweise.
Genau. Wir bedienen uns nicht des ursprünglichen Figureninventars, sondern vielmehr der Emotionen und Bewusstseinszustände und teilen diese untereinander auf. Jede*r ist sozusagen jede*r und die Geschichte sowie die damit verbundene Moral dient uns als Referenzrahmen. Da Emotionen, Bewusstseinszustände oder ein Moralkonzept immaterielle und schwer greifbare Dinge sind, brauchen wir unsere Körper, um diesen Konzepten Bodenhaftung zu verleihen. Die Körper der Tänzer*innen fungieren als Resonanzkörper, um Gefühlszustände zu verstärken und sie zum Schwingen zu bringen. Da wird Tanz als Bewegung des Körpers durch den Raum in einer bestimmten Zeit erfahrbar, um genau diesem Verlauf von Gefühlen und Emotionen nachzuspüren.
Wenn einer der Tänzer*innen zunächst alleine beginnt, allen Horizonten entgegenzustreben, könnte das Publikum ihm ja durchaus die Protagonistenrolle zuschreiben. Spielst du mit dieser möglichen Zuschreibung absichtlich, um dich im Verlauf wieder davon zu lösen?
Das kann gut möglich sein, dass man zunächst ihn alleine mit Ikarus assoziiert. Ich denke aber, dass dieser Höhenflug nicht nur von einem Ikarus unternommen wird und kenne niemanden, der in seinem Leben nicht mal in irgendeiner Weise übertrieben hat. Viele hängen auf ihren Höhenflügen zwischen Himmel und Erde. Man kann nicht mehr einfach auf eine einzelne Person zeigen und sagen: „Das ist sein Problem, jetzt soll er halt damit zurechtkommen.“ Uns wird bewusst, dass wir als Menschen immer eingebunden sind in komplexe Zusammenhänge. Das lässt uns die eigene Rolle reflektieren. Ich bin mir sicher, dass wir alle uns nicht davon freimachen können, uns hin und wieder diese Flügel angezogen zu haben und uns vielleicht sogar wünschen, diese Flügel ab und an nochmal anzuziehen. Darin liegt auch etwas Tröstliches, dass es der Wunsch der Überhöhung des eigenen Menschseins ist, den man mit vielen anderen teilt. Und damit einhergehend auch die hiermit verbundenen Empfindungen, Emotionen, Wünsche und Tragödien. Ikarus trifft dort oben vielleicht auf uns alle, die wir auf unsere ganz eigenen Arten und Weisen dort umherschweben.
Hat das gemeinsame „Höherstreben“ im Kollektiv für dich einerseits etwas Zerstörerisches, weil darin eine gewisse Eskalation liegt, gleichzeitig aber auch etwas Heilsames, indem ich mich in der Gruppe oder der Gesellschaft aufgehoben fühle?
Ich glaube, dass in dem Kollektivgedanken, den wir ja auch auf die Bühne bringen, generell etwas Heilsames liegt. Gemeinschaft oder eher gesagt das Gefühl von Gemeinschaft kann unglaublich positiv sein und sich toll anfühlen. Anderseits beeinflusst Gemeinschaft aber auch - unter Umständen ins Negative. Der Grad von „aufeinander aufbauen“ und „sich gegenseitig aufbauschen“ ist mitunter sehr schmal. An diesem Punkt denken wir den Ikarus-Mythos weiter, indem wir Ikarus in eine Situation setzen, in der er eben nicht der Einzige ist, sondern inmitten eines Kollektivs, das diesen Höhenflug gemeinschaftlich unternimmt. Damit holen wir Ikarus auf ein sehr menschliches Level.
Wir haben uns bereits über den Moralbegriff unterhalten. Beim klassischen Ikarus bleibt die Moral ja dem einzelnen Individuum verhaftet. Ihr fügt diesem Individuum jetzt ein Kollektiv hinzu und verortet es darin. Erstreckt sich die Moral dadurch auch auf eine gesellschaftliche Ebene?
Für eine Gesellschaft liegt die Moral meiner Meinung nach im wahrsten Sinne des Wortes darin, sich gegenseitig aufzufangen und aufeinander Acht zu geben. Auffangen im Sinne von „füreinander da sein“, „sich achtsam zu begegnen“ und „sich gegenseitig zuzuhören“. Wir als Gesellschaft sollten immer wieder versuchen, nicht abzurutschen. Und in diesem Versuch liegt für mich der gesellschaftliche Gewinn aus den Anstrengungen, die nötig sind, um das zu erreichen. Immer wieder müssen wir schmerzlich erkennen, dass die Menschheit scheinbar nicht aus der Geschichte lernt. Vielleicht weil dieser Hang zum Höhenflug etwas ist, das in uns Menschen schlummert. Kriege, Invasionen oder Überlegenheitsdenken - das sind letztendlich Formen absoluter menschlicher Höhenflüge, völliger Übertreibung. Das wiederholt und wiederholt sich. Je öfter sich das wiederholt, desto relevanter wird die Geschichte und je öfter und klarer müssen wir sie uns vor Augen halten. Um unsere eigene Rolle im Höhenflug der Gesellschaft zu reflektieren und nach Möglichkeiten der sicheren Landung für alle zu suchen.
Interview mit Sandrine Lescourant
Du hast deine Wurzeln im Hip-Hop und bist gut vertraut mit der Wettkampf-Kultur innerhalb der Szene, bei der es um das Besiegen der Gegner*innen geht. Was ist deine Definition von „Siegen“ und „Gewinnen“?
Die Wettkampfkultur im Hip-Hop war für mich eine gute Schule. Wenn du in den Wettkampf gehst, kennst du deine Gegner*innen nicht und auch nicht die Musik. Du musst dich also sehr schnell auf die Gegebenheiten einstellen und darauf reagieren und gerätst gewissermaßen in einen Überlebens-Modus. Dadurch habe ich mich selbst nochmal ganz anders wahrnehmen und kennenlernen können. Natürlich ist es schön, ein Battle und dadurch die Anerkennung der anderen zu gewinnen. Aber das war für mich nie der entscheidende Punkt. Viel wichtiger war es mir, dadurch der Musik und mir selber näher zu kommen. Das ist der kostbare Schatz, den ich für mich gewonnen habe und den ich mir bewahre.
Hat sich dein Blick auf den Vorgang des Gewinnens durch deine langjährige Teilnahme an den Dancebattles verändert?
Ich glaube, die Begriffe „gewinnen“ und „verlieren“ entspringen in erster Linie einem äußeren Blick. Es sind die Leute um dich herum, die dich zur Gewinnerin oder zur Verliererin machen, gewissermaßen ein Titel, den man dir verleiht, ein Etikett. Für mich ist jedoch das Gefühl, das sich in mir bildet, viel entscheidender. Wenn ich mich selbst und mein Verhalten in den Wettkampfsituationen reflektiere und merke, dass ich mein eigenes Spiel gespielt habe, meine eigenen Spielregeln und Grundsätze vertreten habe. Natürlich habe ich auch einige solcher Battles gewonnen. Das hatte dann aber etwas damit zu tun, dass ich die Spielregeln kannte, mich strategisch verhalten und das Spiel der anderen mitgespielt habe. Das ist auch eine wertvolle Erfahrung. Aber mein eigenes Spiel gespielt zu haben, das war für mich immer der eigentliche Sieg – frei zu sein und wahrhaftig. Und nicht, mich in den Spielregeln der anderen verloren zu haben.
Gibt es für dich einen Unterschied zwischen den Vorgängen des Siegens und des Gewinnens?
Siegen ist für mich etwas wirklich Großes. Gewinnen, das ist etwas, was wir jeden Tag machen. Wir gewinnen, wir verlieren. Auf so vielen Ebenen und manchmal, ohne dass es uns richtig bewusst ist. Gewinnen und Verlieren, das gehört zum Menschsein und ist Teil unseres Alltags. In der Tätigkeit des Siegens hingegen schwingt für mich fast schon etwas Spirituelles mit. Etwas, das größer ist, als dass ich es erklären könnte. Etwas, das uns Menschen verbindet und mit Liebe und Glaube einhergeht. Es ist kollektiv und nicht auf ein einzelnes Individuum einzugrenzen. Für mich hat es etwas mit Gott zu tun. Deshalb glaube ich, gibt es grundsätzlich keinen wirklichen Sieg, wenn er nicht gemeinschaftlich ist, allumfassend.
Du hast während der Proben zu diesem Tanzprojekt nicht nur mit den Ensemblemitgliedern des Theaters gearbeitet, sondern auch einen Workshop mit Pflegekräften und den Tänzer*innen realisiert. Welche Chancen und Möglichkeiten bietet ein solcher Austausch?
Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder mit solchen „Expert*innen des Alltags“ gearbeitet, um Kunst und Alltag in einen wirklichen und ernstgemeinten Dialog zu bringen. Ich liebe den Tanz und meine Arbeit als Tänzerin und Choreografin sehr. Aber wenn ich mich ausschließlich in diesen rein künstlerischen und performativen Zusammenhängen, die recht hermetisch sein können, bewegte, fehlte mir persönlich etwas. Die gegenseitige Inspiration, die beim Aufeinandertreffen verschiedener Disziplinen oder grundsätzlich Gruppen entsteht, ist für mich eine wichtige und nötige Durchlüftung der eigenen routinierten Mechanismen. Beide Seiten profitieren meiner Meinung nach erheblich von diesem Austausch. Die Tänzer*innen erhalten neue Impulse, die sie in ihre eigenen Bewegungsabläufe und -muster einfließen lassen können. Und wir als Tanzschaffende können Besucher*innen Möglichkeiten aufzeigen, Tanz als besondere Ausdrucksmöglichkeit unserer Persönlichkeit zu entdecken. Und in diesem gemeinsamen Austausch, in der Verbindung und der Gemeinschaft, die wir in diesem Moment eingehen, beginnt für mich Tanz.
Wieso hast du dich für die Berufsgruppe der Pflegefachkräfte entschieden?
In Vorgesprächen habe ich Lilian und Christian davon erzählt, dass ich in meiner Arbeit gerne Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenbringe und aus der Zusammenarbeit Funken schlage. Beide haben mir von verschiedenen Partnerschaften berichtet, die das Theater bereits eingegangen ist, unter anderem zum UKM. Das hat mich gerade in Bezug auf dieses Projekt sehr interessiert. Denn Gewinnen hat für mich etwas mit der Fähigkeit des Zusammenseins zu tun. Und Menschen, die im Pflegebereich arbeiten, die sich tagtäglich um Menschen kümmern, die Bedürftigen gewissermaßen dienen, wirken meiner Meinung nach in außerordentlicher Weise am Zusammensein von Menschen mit. Fähig zu sein, sich zu kümmern und gleichzeitig die Bereitschaft zu besitzen, sich auch kümmern zu wollen, das ist für mich ein wahrer Gewinn.
Eine Szene, die aus dem Workshop heraus entstanden ist, ist die Szene, in der eine Tänzerin sich vergeblich bemüht, andere Tänzer*innen, die um sie herum zu Boden fallen, wieder aufzurichten. Es wird ihr unmöglich gemacht, es zu schaffen. Als Zuschauende können wir die Frustration dieser Frau auf der Bühne sprichwörtlich mit Händen greifen. Arbeitest du bewusst damit, solche Situation zu kreieren, in der sich Ausdruck und Persönlichkeit vermengen?
Ja, ich finde diesen Ansatz der Erarbeitung wichtig. Im Probenalltag im Studio ist die Wiederholung ein wichtiges Mittel, um Techniken zu verfeinern und Bewegungsabläufe einzustudieren. Manchmal verliert man während dieses Prozesses jedoch die ursprüngliche Bedeutung oder Motivation einer Szene. Und um immer wieder an diese Punkte zurückzukehren und sich den Grund einer Bewegung bewusst zu machen, ist es nötig, inneres Erleben und Fühlen in diesem Moment mit der Bewegung zusammenfallen zu lassen. Tanz ist so viel. Er kann Stärke und Macht verkörpern genau wie Verletzlichkeit und Schwäche. Wahrzunehmen, wie der Körper sich in einem bestimmten Gemütszustand verhält und dieses Gefühl in Bewegung zu übersetzten ist notwendig, um es im Moment der Aufführung für das Publikum möglich zu machen, die Bewegung auch wieder nachfühlen und individuell rückübersetzen zu können.
Du hast vorhin gesagt, dass Tanz für dich in dem Moment beginnt, in dem wir uns begegnen und uns austauschen. Wie sieht dieser Austausch während der Proben aus?
Der Austausch zwischen Individuen basiert immer auf einer Art der Kommunikation. Wir bedienen uns eines Symbolsystems, um miteinander zu kommunizieren und zu interagieren. Das können Bewegungen und damit Tanz sein. Das kann Sprache sein. Das kann auch einfach der Blick in die Augen der anderen sein, mit dem dieser Austausch beginnt. Der Blick in die Augen, offen zu sein, zu signalisieren „ich bin da, ich höre dir zu“, das ist ganz wichtig, finde ich. Manchmal sind wir in den Proben einfach mit dem gegenseitigen Blick in die Augen angefangen, der dann eine Bewegung initiiert oder inspiriert hat. Oder wir haben uns der Sprache bedient, haben Laute in Bewegungen übersetzt und andererseits Bewegungen wieder zurück in Laute und Sprache. Sprache und Bewegung gehen eine Symbiose ein und es entsteht eine besondere Art der Musikalität und des Rhythmus, indem sich Stimme und Bewegungen verbinden und synchronisieren. Es ist beeindruckend zu entdecken, wie sich der Einsatz der Stimme und die Physikalität des Körpers einander beeinflussen und verändern können. Damit haben wir innerhalb der Proben viel experimentiert. Manchmal habe ich den Tänzer*innen Fragen gestellt oder sie während der Proben miteinander ins Gespräch kommen lassen. Für mich war es sehr berührend zu sehen, wie nah sie sich dabei gekommen sind. Ich selbst durfte dabei eine Seite von ihnen kennenlernen, von der ich mir wünsche, dass auch das Publikum in der Lage sein wird, das zu entdecken. Die Persönlichkeiten und ihre Geschichten, die im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert werden und sich in den Bewegungen widerspiegeln.
Was wünscht du dir für die Begegnung von Tänzer*innen und Publikum an diesem Abend?
Ich glaube, ich wünsche mir genau das. Dass sich Publikum und Tänzer*innen wirklich begegnen. Dass nicht eine Seite etwas vorführt und die andere Seite zuschaut, sondern dass es zum wirklichen Austausch kommt, dass wir nicht nur über den Tanz sprechen, sondern durch den Tanz miteinander ins Gespräch kommen.
Künstlerische Leitung
IKARUS (UA)
Choreografie
Kostüme
Video/KI
DUNAJNA
Choreografie
Kostüme
BEHIND THE CURTAIN (UA)
Choreografie
Kostüme